Die fünf größten Alltagsmythen rund ums Schlafen

Ein Gläschen Wein am Abendhilft beim Einschlafen. Schlecht für den Schlaf soll hingegen Sport sein. Was ist wirklich dran an solchen Mythen?

Mythos Nr. 1: Schlaf ist wichtig für unsere Erholung

Natürlich erholen wir uns im Schlaf. Aber das ist schwerlich sein ursprünglicher Zweck. Erstens erholen wir uns auch im Wachzustand, sofern wir faul genug sind. Zweitens sind wir im Schlaf hochaktiv. Er ist kein „kleiner Tod“, wie die alten Griechen früher dachten. Weitgehend unbewusst bekämpfen wir im Schlaf Infektionen und räumen im Gehirn auf. In großem Maße bauen wir Nervenzell-Verknüpfungen ab, damit nur noch die entscheidenden verbleiben. Wichtige Eindrücke werden zudem verfestigt. Und der Zwischenraum zwischen den Nerven vergrößert sich, damit Abfallprodukte wegtransportiert werden können.

Fazit: Vor allem Gehirn und Immunsystem laufen im Schlaf auf Hochtouren. Es ist vermutlich kein Zufall, dass beide sich erinnern müssen – an Ereignisse und an Krankheitserreger, wie auch der bekannte Schlafforscher Jan Born von der Universität Tübingen denkt. Seine These: Schlaf ist vor allem wichtig für unser Gedächtnis.

Mythos Nr. 2: Man braucht im Alter weniger Schlaf

Das Schlafbedürfnis eines Menschen zu erfassen, ist gar nicht so einfach. Das liegt vor allem daran, dass wir längere Zeiträume mit wenig Schlaf auskommen können ohne spürbare Veränderungen zu bemerken. Chronischer Schlafmangel beeinträchtigt uns also erst nach vielen Tagen und Nächten. Doch dann sind die Symptome meist so diffus, dass wir sie nicht mit dem Schlafmangel in Verbindung bringen, etwa, wenn wir wegen der gewachsenen Infektanfälligkeit eine Erkältung bekommen, einige Tage im Bett liegen und uns ausschlafen. Außerdem scheint das Schlafbedürfnis von der Tiefe und Qualität des Schlafs sowie der Belastung im Wachzustand abzuhängen.

Schlafexpertinnen und -experten der US-amerikanischen National Sleep Foundation fanden durch eine Auswertung vieler Studien heraus, dass der Schlafbedarf vom Alter abhängt: Klar ist, dass Kinder und Jugendliche deutlich mehr schlafen müssen als Erwachsene. Heranwachsende zwischen14 und 17 Jahren benötigen noch sieben bis elf Stunden, junge Erwachsene (bis 25 Jahre) brauchen je nach individuellem Bedürfnis sechs bis elf Stunden. Die meisten von ihnen liegen natürlich in der Mitte des Spektrums, bei etwa sieben bis neun Stunden. Bis zum Alter von 64 Jahren sinkt der Schlafbedarf nur minimal auf sechs bis zehn Stunden. Seniorinnen und Senioren benötigen den Fachleuten zufolge nur noch fünf bis neun Stunden.

Gerade die Angabe für ältere Menschen ist aber umstritten, denn es ist bekannt, dass diese vor allem einen früheren und weniger stark ausgeprägten Schlaf-Wach-Rhythmus besitzen. Deshalb schlafen sie tagsüber mehr, werden abends früher müde und morgens früher wach. Es ist gut möglich, dass ihr Schlafbedarf über 24 Stunden hinweg nahezu unverändert bleibt und sich nur der Nachtschlaf verkürzt.

Fazit: Vermutlich nimmt das Schlafbedürfnis mit dem Alter im Vergleich zur Lebensmitte wenn überhaupt nur minimal ab. Viele Seniorinnen und Senioren empfinden es allerdings anders, da sie morgens wegen einer altersbedingten Veränderung der inneren biologischen Rhythmik nicht mehr lange ausschlafen können. Der Volksmund spricht in diesem Zusammenhang auch etwas despektierlich von der „senilen Bettflucht“.

Mythos Nr. 3: Sport am Abend ist schlecht für den Schlaf

Sport und andere körperliche Aktivität am Tag sind zweifelsfrei gut für den Nachtschlaf. Aber Sport am Abend? Die Australierin Penelope Larsen ging der Sache jetzt mit Kollegen auf den Grund: Elf Männer absolvierten morgens, mittags oder abends ein intensives Sportprogramm. Ihr Schlaf war danach immer gleich gut. Der abendliche Sport hat also zumindest dem Schlaf dieser kleinen und eher einseitig ausgewählten Probandengruppe keinesfalls geschadet. Die Frage bleibt, ob das auch übertragbar ist auf die Durchschnittsbevölkerung?

Dafür spricht die Bilanz einer aktuellen Meta-Analyse von 23 Studien zum Thema, die Christina Spengler von der ETH Zürich publizierte: Wenn sich abendlicher Sport danach überhaupt auf den Schlaf auswirkt, dann eher positiv. Die Menge an Tief- und REM-Schlaf scheint leicht zu steigen. Wer indes direkt nach dem Sport sofort zu Bett geht, kann Einschlafprobleme bekommen.

Fazit: Wenn man zwischen Sport und Schlaf eine Stunde zum Herunterkommen einplant, ist zumindest aus Sicht der Schlafforschung überhaupt nichts gegen die abendliche Aktivität einzuwenden.

Mythos Nr. 4: Schnarchen ist lästig aber harmlos

Schlafmediziner unterscheiden grob formuliert zwischen gewöhnlichem Schnarchen und dem Schnarchen mit mehr oder weniger häufigen Atemaussetzern. Die erste Form gefährdet die Gesundheit kaum. Allerdings raubt sie den Schnarchenden selbst und ihren Partnerinnen oder Partnern oft ein gehöriges Stück Schlaf, was natürlich auch nicht gesund ist. Vor allem aber können knatternde Atemgeräusche im Schlaf bereits eine Vorstufe oder Übergangsform zu der zweiten Art des Schnarchens sein. Und diese ist eine ernstzunehmende Krankheit, die die Lebensqualität massiv beeinträchtigt und auf Dauer unbehandelt die Lebenserwartung eines Menschen um durchschnittlich zehn Prozent verringert.

Beim so genannten obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom, kurz OSAS verschließen sich im Schlaf immer wieder die Atemwege, man wacht kurz auf, schläft aber meistens mit einem lauten und unregelmäßigen Schnarchen wieder ein, so dass man sich später an nichts erinnert. Werden die Aussetzer (Apnoen) zu häufig, ist der Schlaf nicht mehr erholsam, das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten und viele andere Leiden steigt. Das Schlafbedürfnis erhöht sich. Dennoch ist man tagsüber reizbar und schläft bei jeder mehr oder weniger geeigneten Gelegenheit ein. Diagnostiziert wird OSAS im Schlaflabor. Weil gelegentliche Apnoen völlig normal und harmlos sind, gilt man einer groben Regel zufolge als krank, wenn man mindestens zehn Apnoen pro Schlafstunde hat, die mindestens zehn Sekunden anhalten. Rekordverdächtige Patientinnen und Patienten sollen es sogar auf bis zu 110 Atempausen pro Stunde gebracht haben. Der Atem stockt meist für 30 bis 40 Sekunden, in Extremfällen aber auch für drei Minuten.

Fazit: Für eine bessere Schlafqualität sollte man immer etwas gegen das lästige Geräusch tun. Oft hilft ein gesünderer Lebensstil, zur Not müssen Ohrstöpsel oder getrennte Schlafzimmer helfen. Gibt es zudem Hinweise auf extrem lautes oder unregelmäßiges Schnarchen mit wiederkehrenden Atemaussetzern könnte es sich um ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom handeln, und man sollte unbedingt zum Arzt gehen.

Mythos Nr. 5: Ein Glas Wein oder Bier hilft beim Einschlafen

Der angebliche Segen des Schlummertrunks gehört zu den hartnäckigsten Schlafmythen überhaupt. Alkohol mag zwar schläfrig machen und das rasche erste Einschlafen begünstigen. Doch hat die Droge oft schon in geringen Mengen eine zerstörerische Wirkung auf die Schlafqualität. Unter Alkoholeinfluss geht die so genannte Schlafarchitektur ein Stück weit verloren, was bedeutet, dass der Schlaf nicht mehr so gut in die wichtigen einzelnen Schlafphasen unterteilt ist. Man schläft vor allem im so genannten Leichtschlaf, die Dauer der wichtigen Phasen Tief- und REM-Schlaf ist verringert. Außerdem wird man unter Alkoholeinfluss oft nach dem ersten oder zweiten der rund neunzigminütigen Schlafzyklen wach und kann anschließend nicht erneut einschlafen. Hinzu kommt, dass Alkohol die Gefahr des Schnarchens und seiner gefährlichen Extremform OSAS deutlich erhöht. Gerade für Menschen, die bereits Schlafprobleme haben, ist der Griff zum abendlichen Glas Wein oder Bier deshalb besonders fatal.

Fazit: Für Menschen ohne Schlafprobleme mag gegen ein gelegentliches Glas Bier oder Wein vor dem Schlafen nichts einzuwenden sein. Als Einschlafhilfe ist Alkohol aber – egal in welcher Dosierung – gänzlich ungeeignet.

Peter Spork

Weitere Schlafmythen und deren Aufklärung finden Sie hier.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 15. Juli 2019 im Themenmagazin Erbe&Umwelt bei RiffReporter unter dem Titel „Die zehn größten Schlafmythen“.

 

Quellen und Lesetipps:

Björn Rasch und Jan Born (2013): About sleep`s role in memory.

Lulu Xie et al. (2013): Sleep Drives Metabolite Clearance from the Adult Brain.

Jürgen Westermann et al. (2015): System Consolidation During Sleep – A Common Principle Underlying Psychological and Immunological Memory Formation.

Max Hirshkowitz et al. (2015): National Sleep Foundation’s sleep time duration recommendations: methodology and results summary.

Penelope Larsen et al. (2019: Evening high‐intensity interval exercise does not disrupt sleep or alter energy intake despite changes in acylated ghrelin in middle‐aged men.

Jan Stutz et al. (2018): Effects of Evening Exercise on Sleep in Healthy Participants: A Systematic Review and Meta-Analysis.

Peter Spork: Das Schnarchbuch. Mabuse Verlag 2019. Siehe auch die kostenlose Erbe&Umwelt-Leseprobe.

Peter Spork: Das Schlafbuch. Rowohlt 2007, neueste Auflage 2019.

Science Daily und CNN berichten über die Schlafmythen-Analyse der New York University: