Kleine Wunder mit großer Wirkung – ROTE NASEN Clowns besuchen Pflegebedürftige

Herr Straubinger liebt die Geschwindigkeit. Jetzt, mit 80 Jahren, lebt der Ex-Rennfahrer in einer Pflegeeinrichtung. Er ist an Demenz erkrankt, das Leben ist langsamer und das Lachen seltener geworden. An seinem Geburtstag bekommt er ganz besonderen Besuch: ROTE NASEN Clown Mompitz lädt ihn zu einer Autofahrt ins stehende Auto.

Mit Geräuschen und Bewegungen simulieren die beiden eine wilde Rennfahrt. Nachdem die beiden Rennfahrer wieder „angekommen“ sind, sagt Herr Straubinger freudestrahlend : „So bin ich schon lange nicht mehr Auto gefahren!“

Klinikclowns wie Mompitz kennt man vor allem aus dem Kinderkrankenhaus. Doch seit den letzten 20 Jahren besuchen Clowns vermehrt Menschen in Pflegeeinrichtungen. Denn Clowns finden auch einen besonderen Zugang zu Pflegebedürftigen: Ihr Geheimnis liegt in der Begegnung auf Augenhöhe. 72 ROTE NASEN Künstler sind zurzeit in 44 Projekten in Pflegeeinrichtungen im gesamten Bundesgebiet im Einsatz, unter anderem gefördert durch die Betriebskrankenkassen. Denn neben der Pflege des Körpers ist auch die Pflege der Seele wichtig. Wer Freude erlebt, freut sich des Lebens.


Wenn es im Alter komplizierter wird

Gegenwärtig leben in Deutschland rund 1,7 Millionen Menschen mit Demenz. Jährlich treten 300.000 Neuerkrankungen auf, bis 2050 wird sich die Krankenzahl auf rund drei Millionen erhöhen. Wie möchten wir Demenzkranken begegen? Der Clown erreicht Demenzkranke auf seine ganz besondere Art und Weise. Clowns regen dazu an, sich so zu akzeptieren, wie man ist. Mit ihren roten Nasen sehen sie lustig aus. Sie verhalten sich oft seltsam und gegen die Norm, sind ungeschickt und scheitern an den einfachsten Aufgaben. Das macht sie zu Verbündeten jener Menschen, denen auch gerade etwas ‚aus dem Ruder‘ gelaufen ist. Trotzdem strahlen die Clowns Freude, Lebendigkeit und sogar Glück aus.

„In der Begegnung mit pflegebedürftigen Menschen erleben wir immer wieder kleine Wunder“, sagt Reinhard Horstkotte, künstlerischer Leiter von ROTE NASEN Deutschland e.V., der selbst Clown für die sogenannten ‚Clownvisiten‘ ist. „Denn der Clown kann die scheinbar verschlossene Tür zum Innenleben Demenzkranker öffnen und mit den Menschen in Kontakt treten.“


Clowns bringen Freude ins Leben

Mit ihrer unvoreingenommenen Art der Kontaktaufnahme sind Clowns Beziehungskünstler. Sie schaffen es, dass einsame Menschen gemeinsam mit den Clowns Lieder singen und wieder am Leben teilnehmen. Sie tanzen mit Menschen, die im Rollstuhl sitzen und sprechen mit Bewohnern, die die Sprache vergessen haben, ganz einfach in den Worten und Lauten, die noch möglich sind. Sie stärken die kognitiven Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein. Davon profitieren nicht nur die Bewohner einer Pflegeeinrichtung. Auch den Angehörigen und der Pflege selbst liefern die Clownvisiten Input, denn sie zeigen einen neuen, kreativen Umgang mit schwierigen Situationen.

Etwas Freude im Leben tut uns allen gut. Die Clownvisiten der speziell ausgebildeten Künstler verbessern die Lebensqualität der Pflegebedürftigen und ihre psychosoziale Gesundheit nachweislich, deswegen fördern die Betriebskrankenkassen seit Ende 2017 die Visiten in Pflegeeinrichtungen.


Plötzlich alt – Die Ausbildung der Clowns

Hinter dem, was so leicht aussieht, steckt harte Arbeit: Alle ROTE NASEN Clowns sind ausgebildete Schauspieler, Musiker, Pantomimen oder andere Künstler. Für ihre Tätigkeit in Pflegeeinrichtungen und auf geriatrischen Stationen werden sie speziell weitergebildet. So besuchen sie Workshops, in denen sie den Alltag pflegebedürftiger Senioren hautnah erleben: Augenklappen, spezielle Brillen, geräuschhemmende Kopfhörer, Gewichte und das Sitzen in Rollstühlen imitieren typische Hauptanzeichen von Krankheiten wie Rheuma oder Alzheimer. Mit diesen Einschränkungen müssen die Künstler den Alltag bewältigen, beispielsweise Spazierengehen oder Mittagessen. Das stellt auch die Clowns auf die Probe. Maria Gundolf alias ROTE NASEN Clown Brischitt hat schon an mehreren solcher Workshops teilgenommen: „Erst nachdem man selbst am eigenen Körper erfahren hat, wie es sich anfühlt, nicht hören oder nicht sehen zu können, hat man mehr Verständnis für die Lage, in der sich die Seniorinnen und Senioren befinden.


Ein kleines großes Wunder

Die scheinbare Leichtigkeit der ROTE NASEN Clowns im Umgang mit Pflegebedürftigen erfordert eine profunde Vorbereitung und eine feste künstlerische Basis. Doch das Geheimnis der Clowns liegt in etwas anderem: Es liegt in der Zeit, die sie sich für jeden einzelnen Menschen nehmen. Und es liegt in der Begegnung auf Augenhöhe. Als ein „Rendezvous mit dem Leben“ beschreibt eine ältere Dame den Besuch der ROTE NASEN Clowns in ihrem Seniorenheim. Oder, in den Worten von Moritz Berg alias ROTE NASEN Clown Mompitz: „Einmal habe ich in einer Pflegeeinrichtung einer alten Dame, die alleine im Tagesraum saß und die ganze Zeit gegen die Wand starrte, mit einer kavalierhaften Geste eine Plastikblume aus einer Vase geschenkt. Und es war, als ob ein Fenster aufginge: Die Frau bedankte sich und sagte: ‚Vielen Dank! Ich nehme die Blume, aber ich bin schon vergeben.‘ Von den Betreuern hörte ich hinterher, dass die Dame seit einem Jahr nicht mehr gesprochen hatte.“

Text: Annika Seiffert